Dec 22, 2025


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Opfer

Führen heißt auch Opfer bringen – ein Gespräch zwischen dem Journalisten Arnfried Mehne und Prof. Dr. Markus Grottke, Prorektor für Innovation und duales Studium an der AKAD University zu dem jüngst im Schäffer-Poeschel Verlag erschienenen Werk Sinnorientierte Führung von Andreas König

Stuttgart, den 03.04.2024

Mehne: Herr Grottke, Sie haben sich nun umfassend mit dem Werk von Andreas König auseinandergesetzt. Was ist der Kern der sinnorientierten Führung nach König?

Grottke: Am Meisten hat mich beeindruckt, mit welcher Gelassenheit hier eigentlich Tatbestände verkündet werden, die dem Antrieb der Meisten Führungskräfte, Führungskraft zu sein, diametral widersprechen. Auf den ersten Blick hat man es mit einer Anti-Führungstheorie zu tun, wenn man auf die klassische Motivationstrias Macht, Ansehen, Geld abstellt.

Mehne: Das müssen Sie etwas genauer erklären?

Grottke: Nun, hier gibt es zahlreiche Beispiele. So konstatiert König, dass sinnorientierte Führung darauf abzielt, personenunabhängig (aber eben sinnabhängig) zu führen. Das impliziert, dass die Führungskraft mit aller Kraft daran arbeitet, sich selbst für eine Organisation überflüssig zu machen. Normale Führungskräfte versuchen sich hingegen unverzichtbar zu machen und dann mit Gehaltsverhandlungen hochzuverhandeln, um ein möglichst großes Stück des Kuchens abzubekommen.

Ein anderes Beispiel: König hebt, mit guten Gründen, hervor, dass die Trias von Dialog, Demut und Dienen ganz entscheidend ist, um Mitarbeitende aber auch die Organisation an sich sinnorientiert und nachhaltig weiterzuentwickeln. Denken Sie aber an normale Führungskräfte, dann sind diese in der Regel mit dem Anspruch unterwegs mit aller Kraft um Autorität, Selbstwirksamkeit und Macht zu kämpfen.

Mehne: Funktioniert denn eine solche Führung?

Grottke: Das ist eine gute Frage. Sie fordert letztlich doppelt heraus. Einerseits erfordert sie, dass man selbst als Führungskraft die absolute Gelassenheit gewonnen hat, sich nicht mehr um Autorität, Selbstwirksamkeit und Macht bemühen zu müssen. Andererseits erfordert dies, sich die Kreativität aufzubewahren, die vielen Irrungen und Wirrungen der eigenen Mitarbeitenden auf ihrem Weg in ein freies sinnorientiertes Handeln aufzufangen und mit den Zielen des jeweiligen Unternehmens zu versöhnen.

Mehne: Das ist ohne Zweifel hochanspruchsvoll. Ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, warum eine Führungskraft nicht mit voller Kraft um ihr Überleben kämpfen sollte. Tut das nicht jeder Mensch, wenn man jetzt einmal von einem Selbstmörder absieht?

Grottke: Auf den ersten Blick sicherlich. Ich denke zentral ist, dass sich einem hier eine neue Dimension erschließen muss, in welcher deutlich wird: Darauf kommt es eigentlich gar nicht, zumindest nicht zuvorderst an. Ich denke, so etwas lässt sich erst verstehen, wenn man in solchen Grenzsituationen gesteckt hat, sozusagen krachend gescheitert ist. Dann merkt man, es geht eben doch immer weiter. Erst dann kann man das wirklich nachvollziehen. Der Wert der Beziehungen zu Menschen, der Wert des sinnvollen Handelns, den über kurz oder lang verliert, wer allein auf Autorität, Selbstwirksamkeit oder Macht setzt, wird erst in derartigen Situationen richtig sichtbar. Und das zieht an.

Mehne: Sinnorientiertes Handeln ist individuell und freiwillig, so heißt es in dem Buch. Und wenn man – salopp gesprochen – dazu einfach keinen Bock hat?

Grottke: Dann ist das so. Das unterscheidet sinnorientierte Führung von Manipulationsformen aller Art. Denn diese basieren immer darauf, Menschen ihre Freiwilligkeit zu nehmen. Sinnorientierte Führung darf und kann das nicht. Sie hat ja den Anspruch, Sinn nicht vorzugeben, sondern vielmehr Sinnpotentiale aufzuzeigen, die aber dann nur vielleicht und vielleicht auch ganz anders aufgegriffen werden, weil sie durch den einzelnen Mitarbeitenden mit gefüllt werden.

Mehne: Wie führt man dann aber noch?

Grottke: Besser führt, wer mehr Sinnhorizonte und Sinnpotentiale aufzeigen kann, d.h. Mitarbeitenden mehr Gelegenheit gibt, sich aus ihrer Sicht sinnvoll einzubringen.

Auch wahr ist aber: Kein Bock bedeutet auch, dann hat jemand seinen Sinn vermutlich noch nicht gefunden. Anders formuliert: Der eigentliche Grund/Sinn, warum das Leben so lebenswert ist, wurde noch nicht gefunden. Dann lohnt es sich definitiv vor allem aus Sicht eines Mitarbeitenden weiterzusuchen.

Mehne: Herr Grottke, abschließend, was hat Sie an diesem Werk am Meisten beeindruckt?

Grottke: Am Meisten hat mich das Fallbeispiel berührt. Hier ist eine junge Nachwuchsführungskraft, die aufgefordert wird, Tätigkeiten auszuführen, welche sie nicht mag. Und auf ihre Beschwerde hin, sie werde hier falsch eingesetzt, ja geradezu „gedemütigt“, verweist ihr Vorgesetzter darauf, dass Führen auch Leidens- und Opferbereitschaft impliziert, d.h. Opfer zu bringen, Pflichtbewusstsein zu zeigen und den eigenen Kopf (auch für nicht von einem selbst begangene Fehler) hinzuhalten. Mit anderen Worten: Für Führungskräfte gilt es dort standzuhalten, wo andere längst im Feierabend sind oder aufgegeben haben.

Dahinter steckt ein bedeutsamer Verweis der sinnorientierten Führung: Die Sogwirkung eines sinnvollen Handelns hat hier einen Grad erreicht, bei dem die jeweilige Führungskraft über sich selbst hinaus auf den Sinn verweist. Um ein berühmtes Zitat aufzugreifen: Wer um das Warum weiß, kann so manches Wie ertragen. Gerade daran, an dem eigenen Nachteil für die Führungskraft, der für den Vorteil der Realisation des Sinnvollen ertragen wird, lässt sich erkennen, dass tatsächlich etwas auf dem Spiel steht, welches dieses Opfer, dieses Leiden wert ist. Und das regt alle Beteiligten zum Nachdenken an, welcher movens dies ist. Und je länger man darüber nachdenkt, desto mehr wird deutlich, dass es sich nicht nur um einen schönen Ansatz handelt, sondern vor allem darum, dem Leben konkret in jedem Augenblick den Wert zu geben, den es nur durch Sinnerfüllung erhalten kann. Und dafür lohnt es sich zu leben, sich voll und ganz hineinzugeben, jeden einzelnen Augenblick.

Mehne: Na ja, aber häufig ist das Leben nicht sinnvoll und man hat nicht die Energie, sich aufzuraffen.

Grottke: Das scheint nur so. Selbst dann lohnt sich ja zu fragen: Was will das Leben hier eigentlich von mir? Welche Aufgabe wird mir hier gerade gestellt? Was ist also zu tun? Wenn wir nach Hegel in der bestmöglichen aller Welten leben, dann muss auch das seinen Sinn haben – uns nämlich in der Überwindung des sinnlosen Zustands, der eigenen Gestaltungsfähigkeit zu stählen, Sinnpotentiale in dieser Welt zu realisieren.

Mehne: Herr Grottke, vielen Dank für das aufschlussreiche Interview.

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